„Geh zum Fernsehen“, hatten sie gesagt. „Das ist ein sicherer Job“, hatten sie gesagt. „Vergiss deine Träume“, hatten sie gesagt. Jimmy zweifelte ernsthaft an seiner Karriereplanung, als er sich das Rohmaterial der letzten Folge von STUFF STALKERS ansah. Dafür war er von New York nach Los Angeles und dann weiter nach San Francisco gezogen? Dafür hatte er an der USC studiert? Dafür hatte er seinen Traum, Kammermann in Hollywood zu werden, aufgegeben? Für eine beschissene Reality TV-Show? Zudem war die Show nichts Besonderes. Ein paar schmierige Typen boten bei Auktionen um den Inhalt von verlassenen Self-Storage Einheiten. Danach versuchten sie den Plunder, den sie ersteigert hatten, zu Geld zu machen. Die Kamera war die ganze Zeit dabei. Beim Konkurrenzkampf davor. Beim Feilschen danach. Die beiden ausgeprägtesten Instinkte der Menschheit. Neid und Gier. Eingekocht auf fünfundvierzig Minuten Fernsehunterhaltung für ein hirntotes Publikum. Als sich Jimmy zur Hälfte durch das Material des Vortages gekämpft hatte, fiel ihm beim Ansehen der Bilder ein merkwürdiger Typ, der sich unter die Gruppe der Bieter gemischt hatte, auf. Jimmy kannte die meisten schrägen Vögel, die an Drehtagen auftauchten, ein paar Dollar boten, aber niemals ernsthaft darum bemüht waren etwas zu ersteigern. Sie wollten einfach ihr Gesicht ins Fernsehen bringen. Ansonsten waren sie harmlos und störten die Dreharbeiten nicht weiter. Im Idealfall lieferten sie dem Publikum ein paar Lacher. Dieser Typ war anders. An ihm war nichts zum Lachen. Er hatte schulterlanges schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Über seinen verschlissenen dunklen Anzug trug er einen alten, gelben Ledermantel. Seine dunkle, verspiegelte Sonnenbrille zeichnete sich wie ein Fremdkörper auf seiner blassen Haut ab, durch die man seine Adern schimmern sehen konnte wie ein bläuliches Spinnennetz. Beim bloßen Anblick dieses Typen bekam Jimmy eine Gänsehaut, ohne genau zu wissen warum. Es war nicht allein sein Äußeres. Viel mehr, war es sein Verhalten. Seine Teilnahmslosigkeit. Kein einziges Mal gab er ein Gebot ab. Er reagierte nicht auf die Gegenstände, die sich in den Abteilen befanden. Er stand einfach nur da - stets im Hintergrund - und starrte durch seine verspiegelten Sonnenbrillen in die Ferne. Jimmy überprüfte nicht nur das Material des vergangenen Drehtages, sondern das der gesamten letzten Staffel. Es war jedes Mal dasselbe. Was hatte dieser Typ dort zu suchen? Was wollte er? Warum war er ihm erst jetzt aufgefallen? Jimmy beschloss, beim nächsten Mal, ein Auge auf den Kerl zu werfen. Es war noch früh am Morgen, als Jimmy seinen rostigen Pick-up durch die Straßen von San Francisco navigierte. Es gab kaum Verkehr und er kam gut voran. Er fuhr den Geary Boulevard runter. Vorbei am Fillmore, dem legendären Mekka der Rockmusik. Damals, Mitte der Sechziger, war diese Stadt noch etwas Besonderes gewesen. Die Hippie-Bewegung. Die Künstlerszene in Haight-Asbury. Doch heute? Die Hippies waren zu Hipstern mutiert. Und die Technologie-Nerds hatten die Stadt fest im Griff. Ein veganes, elektromobilisiertes, gleichgeschaltetes Utopia, in dem jeder dasselbe tat, dasselbe dachte und gleich aussah. Diese Stadt war tot. Sie wusste es nur noch nicht. Wie ein Komapatient, der durch moderne Technologie künstlich am Leben erhalten wurde. Aber da gab es auch noch die andere Seite von San Francisco. Jimmy fuhr auf der 101 Richtung Süden nach Hunters Point. Das hier war nicht Palo Alto. Nicht Mountain View. Hier wurde die Sorte Menschen angespült, die sich die durch Gentrifizierung steigenden Mietpreise nicht mehr leisten konnten. Solche Gegenden gab es in jeder Stadt in ganz Amerika. Sie wurden gehütet wie ein schmutziges Familiengeheimnis. Man sah sie nicht auf Postkarten. Sie kamen nicht in den teuren Werbefilmchen vor, die dazu gedacht waren den Tourismus anzukurbeln. Niemand sollte sehen, wo die Modernisierungsverlierer 4.0 am Ende landeten. „Hunters Point“, flüsterte Jimmy als er durch die heruntergekommenen Straßen des ehemaligen Industriegebietes fuhr. Heute war es der Teil San Franciscos mit der höchsten Verbrechensrate, den meisten Arbeitslosen und Obdachlosen. Aber auch der größten Dichte an Lagerräume und Self-Storage Einheiten. Perfekt für das Staffelfinale. Als er am vereinbarten Treffpunkt ankam, waren Suzie, die Aufnahmeleiterin und Greg, der Tontechniker bereits da. Das war die gesamte Crew. Mehr war im Budget nicht vorgesehen. Beide ignorierten Jimmy, als er begann seine Ausrüstung aufzubauen. Das war ihm nur recht. Er wollte diesen Tag so schnell wie möglich hinter sich bringen. Als erstes waren die Interviews dran, die sie mit den Stammbietern vor jeder Folge drehten. Molly, die „Tänzerin“ aus Las Vegas. Pete, der Millenial, der aufs schnelle Geld aus war. Und Morty, ein Antiquitätenhändler aus Berkley. Statisten im amerikanischen Albtraum. Schließlich war da noch Fat Mike, der Möchtegern-Mafioso mit dem Nadelstreifanzug - der ihm mittlerweile zumindest eine Nummer zu klein war - und den billigen Goldzähnen. „Weißt du, Kleiner“, sagte Fat Mike und bleckte seine Goldzähne, „es geht in diesem Geschäft nur darum die richtigen Leute zu kennen. Egal wie schmutzig. Egal wie abgedreht. Ich habe für jede Situation die richtigen Typen an der Hand.“ Es war die übliche heiße Luft, die er absonderte um das Publikum zu beeindrucken. Als sie mit den Interviews durch waren, war es bereits Mittag und Jimmy musste sich mit dem Umbau beeilen. Während er seine Kamera zum ersten Lager schleifte, hielt er Ausschau nach dem Mann im gelben Mantel. Langsam trudelten die anderen Bieter ein, doch von ihm fehlte jede Spur. Als das erste Lager zur Versteigerung kam, ging das übliche Geschrei und Durcheinander los. Der Auktionator startete bei zweihundert Dollar und hantelte sich in Fünfzigerschritten nach oben. Plötzlich sah Jimmy aus dem Augenwinkel den Kerl im gelben Mantel. Er stand ganz hinten. Und wie die Male zuvor sagte er keinen Ton. Er starrte nur durch seine Sonnenbrille auf einen unsichtbaren Punkt in der Ferne. Der Raum ging schließlich für sechshundertfünfzig Dollar an Pete. Beim zweiten Lager kam Morty zum Zug. Als sie sich schließlich dem letzten Objekt näherten, das an diesem Tag versteigert werden sollte, war Fat Mike sichtlich genervt. Aggressiv drängte er sich an den anderen vorbei, um als erster einen Blick in den Raum Nummer 18 werfen zu können. Er wollte diesen Raum unbedingt, wollte zeigen, dass er der große böse Wolf hier ist. Doch noch bevor der Auktionator den Startpreis festsetzen konnte, dröhnte eine raue Stimme über die Köpfe der anderen Bieter hinweg: „15.000 Dollar!“ Hätte das Gebot des Mannes in Gelb nicht alle Anwesenden auf dem falschen Fuß erwischt, wäre einigen von ihnen vielleicht sein eigenartiger Akzent aufgefallen. Jimmy hatte noch nie jemanden so reden hören. Es klang fremd. Irgendwie falsch, ohne dass Jimmy sagen konnte, woran das lag. Nachdem der Auktionator es wieder geschafft hatte, seinen Mund zu schließen, gab er dem Fremden den Zuschlag. Es gab keine Gegengebote. Natürlich nicht. Der Krempel in dem Raum war den Preis nicht wert. Irgendetwas war hier faul. Das war allen klar. Aber Geschäft war Geschäft. Und so machten sich langsam alle auf ihren Weg. Die, die etwas ersteigert hatten, rüber zum Hauptbüro, um den Papierkram zu erledigen. Die anderen zum Parkplatz. Auch Suzie und Greg machten, dass sie hier wegkamen und ließen Jimmy mit seiner Ausrüstung allein zurück. Mittlerweile dämmerte es und es sah so aus, als würde es zu regnen beginnen. Es würde sicher einer dieser verflucht kalten Winterabende werden, die man nur im Sommer in San Francisco erlebte. Jimmy beeilte sich damit zusammenzupacken, doch immer wieder wanderte sein Blick zum offenstehenden Raum 18. Was war an dem Zeug so besonders, dass jemand eine solche Summe dafür hinblätterte? Er machte einen Schritt auf die offenstehende Tür zu. Dann noch einen. Und ehe er es wirklich merkte, stand er inmitten alter Möbel. Die Möbel waren schön, keine Frage. Aber 15.000 Dollar? Jimmy überlegte, was er mit einer solchen Summe machen würde, während er seine Hand über die Arbeitsfläche eines alten Schreibtisches gleiten ließ. Der Tisch war aus dunklem Holz. Wahrscheinlich Mahagoni. Auf der Vorderseite war der Name des ehemaligen Besitzers eingraviert - R.U.Pickman. Wahllos öffnete Jimmy Schubladen. Sie waren alle leer. Als er sich in dem engen Raum umdrehte, stieß er mit dem Bein an ein Seitenteil des Tisches und ein Geheimfach öffnete sich. Obwohl er sich ermahnte es nicht zu tun, griff Jimmy in das Fach. Es war nicht leer. Er zog ein altes, in Leder gebundenes Buch heraus. Der Einband war braun und fühlte sich merkwürdig an. Sofort schossen ihm Geschichten über in Menschenhaut gebundene Bücher durch den Kopf. Schlechtgeschriebene Geschichten, wie sie einer seiner früheren Freunde aus New York zu Papier gebracht hatte. Trotzdem spürte er, wie sich ihm beim Gedanken daran seine Nackenhaare aufrichteten. Er wollte das Buch nur noch los werden, als plötzlich eine raue Stimme mit einem fremdländischen Akzent durch die abgestandene Luft schnitt wie ein Skalpell durch junges Fleisch. „Wie ich sehe, haben Sie mein Buch gefunden.“ Der Mann in Gelb kam auf Jimmy zu. Er streckte eine Hand mit langen, spitzen Fingernägeln nach ihm aus. „Nein, keine Hand. Eine Klaue“, dachte Jimmy. Unwillkürlich wich er ein paar Schritte zurück. Dann ging das Licht aus. Jimmy spürte einen Schlag auf seinen Hinterkopf. Dass seine Stirn danach auf die Schreibtischplatte schlug, spürte er hingegen bereits nicht mehr. „Was sollen wir mit dem da machen? Das war so nicht ausgemacht.“ „Genau! Du hast gesagt, nur einer.“ „Macht nicht so ein Theater. In der Grube hinterm Haus wird ja noch Platz für einen mehr sein. Ich leg auch noch ein bisschen Klimpergeld drauf.“ Die letzte Stimme kam Jimmy bekannt vor. An viel konnte er sich nicht erinnern. Sie hatten ihm einen Sack über den Kopf gezogen. Das hatte er schon auf der Fahrt hierher gemerkt. Aber ansonsten war er wie in einem Dämmerzustand gewesen. Als wäre er high. Erst als man ihn ein paar Stufen hochgetragen und an einen Stuhl gefesselt hatte, war er langsam zu sich gekommen. Er versuchte seine Hände von den Fesseln zu befreien. Keine Chance. „Hey Mike, ich glaube dein Freund ist wach.“ Mit einem Ruck wurde Jimmy der Sack vom Kopf gerissen. Vor ihm stand Fat Mike und grinste ihn mit seinen falschen Goldzähnen an. In den Händen hielt er das Buch aus Raum 18. Neben ihm standen drei Gestalten in schwarzen Roben. Jimmy fühlte, wie Panik in ihm hochstieg. Er versuchte, sich zu orientieren. Sie waren in einer heruntergekommenen Bruchbude. Alles hier war dreckig. Der Bretterboden. Die Wände. Selbst die nackte Glühbirne, die den Raum erhellte, schien dreckig. Jimmy konnte keine Lichter durch das Fenster sehen. Wahrscheinlich waren sie außerhalb der Stadt. Oder unten an der Bay. Irgendwo am Wasser, wo es keine Nachbarn und keine Zeugen gab. Der Typ mit dem gelben Mantel saß neben Jimmy auf einem Stuhl. Auch er war gefesselt. Auch er hatte einen Sack über dem Kopf. Er rührte sich nicht. Jimmy hoffte inständig, dass er nicht tot war. Das würde seine Chancen hier mit heiler Haut wieder rauszukommen deutlich schmälern. „Tut mir leid, dass du da mit reingezogen wurdest, Kleiner“, sagte Fat Mike. „Aber du hättest dort nicht rumschnüffeln sollen.“ „Was willst du?“ Fat Mike hielt das Buch hoch. „Ich habe schon, was ich wollte.“ Dann wandte er sich an die drei Gestalten: „Die beiden sind jetzt euer Problem.“ Er klopfte einem von ihnen jovial auf die Schulter und verschwand. Kurz darauf hörte Jimmy Motorengeräusche und ein Auto, das davonfuhr. Nachdem Mike verschwunden war, baute sich der größte der drei Männer vor Jimmy auf und nahm seine Kapuze ab. Er war ein wahrer Hüne. Sein Gesicht war weiß geschminkt, mit Ausnahme seiner Augen- und Mundpartie, die schwarz angemalt waren. Was waren das für Typen? Eine Black Metal Band? Satanisten? Nein, der Gedanke war zu absurd, selbst in einer Stadt wie dieser. „Schau mal nach, ob der andere noch lebt“, sagte der Hüne und einer seiner Handlanger zog dem Mann in Gelb den Sack vom Kopf. Der starrte ihn mit emotionslosen Augen an. Sein Blick war kalt. Sein Gesicht zeigte keine Reaktion. Keine Überraschung. Keine Furcht. Nichts. „Er ist wach.“ „Gut. Es wäre eine Schande, wenn er den Spaß verpassen würde.“ Der Hüne zog einen langen Dolch unter seiner Robe hervor und hielt ihm den Mann in Gelb vors Gesicht. Doch der starrte ihn nur weiter unverwandt an. Keine Spur von Angst, nur der Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen. Die ausbleibende Reaktion schien den Hünen kurz aus dem Konzept zu bringen, doch er versuchte sich nichts anmerken zu lassen: „Wir werden dir dein Herz rausschneiden, um es AZAGTHOTH zu opfern, dem Herrn des Wahnsinns.“ Er packte den Mann in Gelb und riss ihm das Hemd vom Körper. Augenblicklich wich er jedoch ein paar Schritte zurück. Die Brust des Mannes war übersäht von Narbengewebe. Die Narben bildeten eine Form die aussah wie ein Kleiderbügel mit zwei Antennen. Jimmy glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als die Narben zu pulsieren und zu leuchten begannen. Erst in einem schwachen Blauton, dann giftgrün und schließlich blutrot. „Was hat das zu bedeuten“, stammelte der Hüne. „Das bedeutet“, antwortete der Mann in seinem fremdländischen Akzent, das Lächeln immer noch auf seinen Lippen, „ihr sitzt ganz schön in der Scheiße.“ Mit diesen Worten erhob er sich, als wären seine Fesseln nur eine Illusion. Das Seil zerriss wie ein Fädchen. Der Stuhl zersplitterte in tausend Stücke. Panisch stürmten die drei Gestalten aus dem Raum. Der Mann in Gelb schlenderte ihnen hinterher, als würde er an einem Sonntagnachmittag durch den Park spazieren. „Es ist nutzlos“, sagt er. „Keiner von euch kommt hier lebend raus.“ Danach hörte Jimmy nichts mehr. Bis die Schreie anfingen. Es waren Schreie, wie er sie noch nie in seinem Leben gehört hatte. Es klang nicht menschlich. Es war Schmerz, Verzweiflung und Angst in verschiedenen Tonlagen. Als würde jemand auf einem dämonischen Klavier spielen. Dann wurde es wieder still. Jimmy versuchte verzweifelt seine Fesseln zu lösen. Er spannte seine Muskeln an, bis er das Gefühl hatte, sein Körper würde platzen. Er hörte Schritte und wusste, wer es war. Im nächsten Moment stand der Mann in Gelb bereits vor ihm. Seine Kleidung war blutverschmiert. Das Zeichen auf seiner Brust hatte aufgehört zu leuchten. „Wer sind Sie?“, fragte Jimmy mit zitternder Stimme. „Tut nichts zur Sache.“ „Was sind Sie?“ „Geht dich nichts an.“ „Was ist das für ein Buch.“ „Ah, das Buch!“ Der Mann in Gelb starrte in die Ferne, als könnte er es dort irgendwo hinter dem Horizont erblicken: Es trägt den Titel „Al Azif“ und wurde im Jahr 738 in Damaskus von einem Mann namens Abdul Alhazred verfasst. Manche sagen, er sei wahnsinnig gewesen. Andere glauben, der Inhalt des Buches wäre ihm bei einem Aufenthalt in Babylon von einem uralten Dämon diktiert worden. Alhazred verschwand jedenfalls nach Fertigstellung des Textes spurlos. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sowohl eine griechische als auch eine lateinische Übersetzung des Buches angefertigt. Jedoch fielen beinahe alle Exemplare der Bücherverbrennung unter Pabst Gregor IX im Jahre 1232 zum Opfer. Eines der griechischen Exemplare wurde vor den Flammen verschont und gelangte in die Hände der Familie Pickman aus Salem, Massachusetts. Doch auch diese Ausgabe verschwand mit dem Tod des letzten Nachkommens, R.U. Pickman. Pickmans gesamtes Hab und Gut wurde nach seinem Tod veräußert und über das ganze Land verstreut. Jahrzehnte lang hielt sich hartnäckig das Gerücht, das Buch würde sich irgendwo in San Francisco befinden. Doch es blieb verschollen. „Bis heute.“ „Darum geht es also. Eine Antiquität. Wieviel ist es wert. 200.000? 300.000?“ „Es ist äußerst wertvoll. Aber es geht nicht ums Geld. Das Wissen in diesem Buch ist unbezahlbar. Es enthält eine Formel zur Herstellung eines Gebräus aus Menschenblut, das demjenigen, der es zu sich nimmt, die wahre Natur der Welt, der menschlichen Existenz und des gesamten Universums offenbart.“ „Klingt für mich nach einer halluzinogenen Droge.“ „Mitnichten. Wir werden die Menschheit aus ihrem Dornröschenschlaf erwecken.“ „Wir?“ „Du wirst mir dabei helfen.“ Jimmy war klar, dass das keine Bitte war und seine Lage auch keinen Widerspruch zuließ. Fat Mike fühlte sich fabelhaft. Er hatte das Buch und war sich sicher, dass es ihm ein Vermögen einbringen würde. Außerdem erfüllte ihn die halbe Flasche Whiskey, die er zur Feier des Tages getrunken hatte, mit einer angenehmen Wärme. Der Alkohol machte ihn jedoch auch schläfrig. Immer wieder fielen ihm die Augen zu, während er auf seiner Couch lag und versuchte irgendeine Late Night Show im Fernsehen zu folgen. Er hörte nicht, wie seine Wohnungstür geöffnet wurde. Er hörte nicht die Schritte im Gang. Und er sah die beiden Gestalten nicht, die sich hinter ihm aufbauten. Fat Mike merkte nichts, bis es zu spät war. Als er wieder zu sich kam, hang er kopfüber von der Decke. Er war splitterfasernackt. Wie ein Schwein, das man zum Schlachten aufgehängt hatte. Seine Augen drohten aus seinem Kopf hervorzuquellen als er seine Angreifer erkannte. Dann fiel sein Blick auf die Plastikfolie und den absurd großen Eimer, den sie unter ihn gestellt hatten. Er wollte etwas sagen, doch dazu kam es nicht mehr. Mit einer schnellen, eleganten Handbewegung riss ihm der Mann in Gelb die Kehle auf. Dabei durchtrennten seine langen, scharfen Fingernägel mit chirurgischer Präzision, Haut, Arterien und Luftröhre. Jimmy starrte auf das Blut, das zähflüssig in den Eimer rann. Es war dunkler als er es sich vorgestellt hatte. Fat Mike gab noch ein paar letzte Gurgellaute von sich. Dann war er tot. Jimmy hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen, doch der Gelbe gab ihm mit strengem Blick zu verstehen, dass er sich zusammenreißen sollte. Als der Eimer voll war, nahm der Mann in Gelb das Buch vom Couchtisch, schlug es an einer bestimmten Stelle auf und begann damit, eine Hand über den Eimer gestreckt, eine Beschwörungsformel zu murmeln. Immer und immer wieder: UR! NIPPUR! ERIDU! KULLAH! KESH! LAGASH! SHURUPPAK SELAH! Die dunkelrote Flüssigkeit begann wie durch Geisterhand zu kochen. Dampf stieg auf. Es roch wie bei einem Barbecue. Als er fertig war, schlug der Mann in Gelb das Buch zu und wandte sich an Jimmy. Ein Ausdruck der Zufriedenheit auf seinem Gesicht. „Es ist vollbracht.“ Jimmy trat näher und warf einen Blick in den Eimer. Aus dem Blut war ein rubinrot leuchtendes Pulver geworden. „Wenn wir das verkaufen wollen, müssen wir es irgendwie verpacken. In Säckchen. Oder noch besser, in Kapseln. Außerdem müssen wir erklären, wo wir es herhaben. Und ein Name für den Stoff wäre auch nicht schlecht.“ „Das ist dein Problem“, sagte der Mann in Gelb. „Aber ich rate dir, dich damit zu beeilen. Sonst könnte mich der Wunsch überkommen, dich vom Verkauf in die Produktion zu versetzen.“ Er deutete mit seinem Kopf in die Richtung von Fat Mike, dessen Leiche wie eine groteske Piñata von der Decke baumelte. „Lass mich nur machen“, antwortete Jimmy. „Ich kenne da jemanden, der uns behilflich sein könnte.“ Als das Telefon in der schmuddeligen Abstellkammer klingelte, die Lars seine Wohnung nannte, brauchte er einen Moment, um zu reagieren. Wer rief um diese Zeit an? Wütend stapfte er durchs Zimmer. Als er das Telefon endlich unter einem Berg leerer Pizzakartons gefunden hatte, war er richtig sauer. „Was?!“, schrie er in den Hörer. „Lars? Hier ist Jimmy. Jimmy Havoc.“ Es dauerte einige Sekunden, bis es Lars gelang die Stimme am anderen Ende einem Gesicht zuzuordnen. Der kleine Jimmy Havoc, der in seiner ersten Punk-Band Bass gespielt und sich danach nach Kalifornien verpisst hatte. „Was willst du?“ Lars bemühte sich immer noch wütend zu sein, sein Tonfall war aber mittlerweile deutlich freundlicher. „Ich hab da was, was dich interessieren könnte. Können wir uns treffen? Es wird sich für dich lohnen.“ Als er das hörte, fing Lars an zu grinsen… ...Und so geht es weiter! Hades Jones ist ganz unten angekommen. Seine Freundin hat ihn verlassen und seinen Traum von der Musikerkarriere hat er längst aufgegeben. Desillusioniert versucht er sich in New York City als Drogendealer durchzuschlagen. Doch seine Welt gerät vollends aus den Fugen, als ihm ein Freund die neue Designerdroge Faktor 9 anbietet. Nachdem er den neuen Stoff ausprobiert hat, wacht Hades auf einem verlassenen Parkplatz mitten im Nirgendwo auf, ohne Erinnerung, wie er dorthin gekommen ist. Doch das ist nicht sein einziges Problem…
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